Samstag, 3. Oktober 2009

Die zwei Gesichter

Ich gebe es unumwunden zu, ich habe vor 20 Jahren, nach dem ersten "Flash" der Wiedervereinigungshysterie, meine Welt in der DDR sehr vermisst und ein kleiner Teil vermisst sie heute noch, immer dann, wenn ich mit meinen Kindern "Bullerbü" gucke.

Die kleine Welt, in der ich aufgewachsen bin, war so unglaublich behütet und hatte in vielen Zügen etwas von "Bullerbü".
Das Leben auf dem Land war so völlig anders als das Leben in den Städten.
Fernab von politischen Repressalien, Verhören, Staatsicherheit und werweißwasnoch.

Verklärt und in einem durchweg positiven Licht ist meine Erinnerung an meine ersten 13 Lebensjahre auch deshalb, weil ich dieses Land nie "unrecht" erlebt habe, weil es uns dort auf dem Land nie an etwas mangelte (oder unsere Eltern den Mangel geschickt vor uns verbargen) und unser Leben mit Telefon, Auto, wöchentlichem Kirchgang, Schulfreiheit am Sabbat und eigenem Handwerksbetrieb einigermaßen untypisch war, weil Privatwirtschaft und Sozialismus absolut non-konform waren.
Und trotzdem wurden wir in Ruhe gelassen.

Grund für diese zeitweilige Wehmut ist da mein Hang zu Dingen, Orten und Lebensweisen, die ich überschauen kann.
Ich bin nicht gern an Orten, die ich nicht zu erfassen vermag, die mir zu groß sind, die ich nicht verstehe.
Ich brauche die Übersichtlichkeit, die Einfachheit, den geordneten Zustand, das fest Umrissene, um Halt zu haben.

Vor 20 Jahren wurde ich jäh aus dieser heilen Welt entrissen und vielleicht habe ich das nie überwunden, denn Dinge, die mir zu groß sind, die unruhig sind, die ich nicht überschauen kann, interessieren mich nicht, sie gehen mir auf die Nerven und machen mich hektisch.

Erst nach vielen Jahren, durch das Ansehen von Filmen und Dokumentationen, verstehe ich natürlich, welche Dramen bei anderen Menschen abliefen, wie es ihnen schlecht ging, wie sie vom Staat behandelt wurden, was sie erleben mussten.

Ich habe tatsächlich 13 Jahre lang nur eine Seite, nur dieses eine naive, behütende Gesicht der DDR erlebt...

3 Kommentare:

Frische Brise hat gesagt…

Irgendwo hatte ich jetzt gelesen, daß ja das Land unserer Kindheit verschwunden ist.
Das ist der Knackpunkt, deshalb tun wir uns manchmal so schwer, glaube ich.
Gut zu hören, Deine Geschichte!

Uta hat gesagt…

O ja, ich kann Dich gut verstehen... irgendwie war auch meine (DDR) Welt ganz heile... und Jahr für Jahr liebte ich es, in den großen Ferien nach Mecklenburg zu meinen liebsten Verwandten auf's Dorf zu fahren...Jedesmal wenn unser Auto über das bucklige Kopfsteinpflaster ins Dorf einfuhr hatte ich eine unglaubliche Freude empfunden, und ja, unsere Verwandten dort strahlten eine herrliche Zufriedenheit aus, trotz harter Stallarbeit auf'm Hof...das alles möchte ich immer festhalten....
Liebe grüße von Uta

Trällertrulla hat gesagt…

@ Frische Brise: Das ist der Punkt! Da geht es mir erstaunlicherweise auch wirklich nicht anders als z.B. meinen (alle noch lebenden) Großeltern, die zwischen 1922 und 1926 geboren, ihre Kindheit vor dem 2. Weltkrieg als wunderschön, idyllisch, absolut sorgenfrei und voller toller erlebter Geschichten beschreiben.
Dann haben sie alles verloren und alles wurde (unvergleichlich mit unserer Situation) anders und neu.

@ Uta: Das kann ich sehr nachvollziehen! Unsere 6-8-Stundenfahrten über die Landstrassen hoch in meine Geburtsstadt, die Pausen an immer den gleichen Orten, wie man die Dörfer und die Leute nach und nach kennenlernte, weil dort einfach die Zeit stehengeblieben ist. :)